Kennzeichen des "Gutmenschen": Der moralisierende Zeigefinger.
„Gutmenschen sind nervig. Mit moralisierend erhobenem Zeigefinger verderben diese Moralapostel einem den Spaß an einem unschuldig-unbeschwerten Leben. Ich lasse mir von niemandem in meine Lebensführung hineinreden. Von diesen unverbesserlichen Gutmenschen schon gar nicht.“
Aussagen wie diese werden immer wieder geäußert. Damit passieren zwei Dinge: Erstens wird der Unwille, sein Leben in irgendeiner Form zu verändern, zum Ausdruck gebracht. Zweitens werden all jene, die einen eben dazu bewegen wollen, als „Gutmenschen“ tituliert. Dabei ist „Gutmensch“ abwertend gemeint und soll den Gesprächspartner als übertrieben moralisierend denunzieren.
Denkt man genauer darüber nach, dann ist es merkwürdig, dass „Gutmensch“ eine abwertende Bezeichnung sein soll, besteht sie doch aus „gut“ und „Mensch“. Und wenn es „Gutmenschen“ in Unterschied zu anderen Menschen gibt, so stellt sich die Frage, wer denn diese Menschen sein sollen. Sind dies etwa die „Schlechtmenschen“?
In diesem Zusammenhang wird auch die abschätzige Bezeichnung „Weltverbesserer“ verwendet, die mindestens ebenso paradox ist. Hier steht nicht etwa das gewählte Mittel im Zentrum der Kritik, sondern die Absicht der Handlung selbst. Es kann durchaus kritisiert werden, dass eine Handlung oder ein Mittel gar nicht geeignet ist, die erklärte Absicht zu erfüllen. Aber kann es kritikwürdig sein, die Welt verbessern zu wollen?
Warum in einer Diskussion zur Bezeichnung „Gutmensch“ gegriffen wird
Die Abwehr, die in dieser Bezeichnung mitschwingt, muss ernst genommen werden. Oft fällt die Reaktion gerade deshalb besonders heftig aus, weil „Gutmenschen“, von der Sachebene aus betrachtet, oftmals Recht haben. Damit bringen sie ihr Gegenüber in die Defensive. Entweder wird unterstellt, dass ein bestimmter Umstand von der Gegenseite nicht richtig erkannt wurde, oder aber, dass nicht nach dieser Einsicht gehandelt wurde. Das Gegenüber steht also vor der Entscheidung, ob es als ignorant oder aber inkonsequent dastehen möchte.
Schopenhauer, Befürworter der Sachlichkeit im Disput.
Wird sich abwertend über „Gutmenschen“ ausgelassen, so geht es meist um die Suche nach Zustimmung. Zustimmung dafür, dass man zu beschäftigt, zu willensschwach oder zu gefangen in seinen Gewohnheiten und Vorstellungen sein darf, anstatt sein Leben im Sinne einer besseren Welt zu ändern. Es geht um Absolution von einem latent schlechten Gewissen.
So wird die Lösung darin gesucht, die Gegenseite zu diffamieren. Man verlässt die Ebene des Austauschens von Argumenten und wird beleidigend. Der Philosoph Arthur Schopenhauer spricht hierbei von einem „argumentum ad personam“, also einem Argument gegen die Person; man wird „persönlich“. Als Lösung schlägt Schopenhauer vor, auf der Sachebene zu bleiben und durch die argumentative Überlegenheit den Disput für sich zu entscheiden.
In der Praxis ist es aber meist so, dass der Gegenüber seine Niederlage schon längst eingestanden hat, wenn er beleidigend wird. Die Beleidigung und Abwehr sind ein letzter Versuch, einen Teil der eigenen Eitelkeit vor einer Blamage zu retten. Das Ziel des „Gutmenschen“ ist es aber meistens gar nicht, Recht zu behalten, sondern vielmehr, beim Gegenüber eine Verhaltensänderung zum Besseren zu erreichen.
Spätestens, wenn sich das Gegenüber in eine Abwehrhaltung flüchtet, ist es also höchste Zeit, der anderen Seite die freundschaftliche Hand zu reichen und sie auf der emotionalen Ebene abzuholen, auf der sie sich inzwischen befindet. Das Gebot der Stunde sind hier Einfühlungsvermögen und Nachsicht.
Wie auf die Bezeichnung „Gutmensch“ reagiert werden kann
Entscheidet man sich, die Diskussion weiterzuführen, ist es entscheidend, nicht herablassend zu wirken. Wie aber kann jemand von einer Verhaltensweise überzeugt werden, wenn die entsprechende Person dies gar nicht einsieht? Hier sind zwei Dinge in der Diskussion enorm wichtig.
Erstens darf niemals der Eindruck entstehen, man sei der festen Überzeugung im Recht zu sein und von nichts davon abzubringen. Ein solcher Eindruck provoziert für sich selbst genommen schon eine Abneigung gegen die vorgetragene Haltung, ganz unabhängig vom Inhalt. Dogmatismus ist ja auch nicht notwendig, wenn man Recht hat. Vielmehr ist Dogmatismus lediglich dann notwendig, wenn man im Unrecht sein könnte – und davor große Angst hat.
Zweitens ist es wichtig, nachsichtig und geduldig zu sein. Bestimmte Verhaltensweisen sind tagtäglich eingeübt und diese zu ändern ist für manche oft ein schwieriger, langwieriger und anstrengender Prozess. Man kommt solchen Menschen entgegen, wenn man Verständnis für ihre Position zeigt, anfangs keine zu hohen Anforderungen an sie stellt und ihnen auch für kleine Erfolge den geschuldeten Respekt zollt.
Beachtet man diese zwei Punkte nicht, so verdient man sich schnell die Bezeichnung „Gutmensch“ im Sinne der Definition, wie sie im Duden steht:
„[naiver] Mensch, der sich in einer als unkritisch, übertrieben, nervtötend o. ä. empfundenen Weise im Sinne der Political Correctness verhält, sich für die Political Correctness einsetzt.“
http://www.duden.de/rechtschreibung/Gutmensch
Wirke ich dogmatisch, so wirke ich auch naiv und unkritisch; lasse ich Einfühlungsvermögen und Geduld vermissen, so wirken meine Ansprüche übertrieben und mein Verhalten nervtötend.
Gegenseitige Wertschätzung ist Grundlage für jedes harmonische Gespräch auf Augenhöhe.
Vom „Gutmenschen“ zum besseren Menschen
Wird die eigene Haltung mit „Gutmenschentum“ abgebügelt, so fühlt sich die Gegenseite geschulmeistert. Ob dieser Eindruck berechtigt ist oder nicht, sei dahingestellt. Aber um in Liebe und Harmonie im Gespräch bleiben zu können, ist es ungemein wichtig, dass damit zum Ausdruck gebrachte Bedürfnis nach Nachsicht nicht zu übergehen. Andernfalls wird eine kluge Idee abgelehnt, nur weil der Vortragende so sehr von ihr überzeugt war, dass er belehrend auftrat. Mit Ablehnung des belehrenden Auftretens wird aber leider die gute Idee meist ebenfalls abgelehnt. Menschen sind eher geneigt zu sagen „Lass mich einfach in Ruhe!“, anstatt „Deine Idee klingt eigentlich interessant, aber kannst du bitte von deinem hohen Ross runterkommen, bevor du sie mir jetzt noch einmal näher erklärst?“.
Der bessere Gutmensch hat nämlich nicht nur hehre moralische Ideale, handelt danach so gut er kann und versucht, andere von einer besseren und gesünderen Lebensweise zu überzeugen – er übt auch Geduld, Nachsicht und Nächstenliebe; für ein besseres und gesünderes Leben in gemeinsamer Harmonie und gegenseitiger Wertschätzung.
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