Wie Geist und Körper kommunizieren
Unsere Gedanken sind schöpferisch, d.h. sie wirken auf Materie.
Ich kann mich noch sehr gut an meine Abschlussprüfungen an der Uni erinnern. Innerhalb von zwei Monaten galt es sechs große Examen über nahezu alles, was ich die letzten Jahre so gelernt hatte, zu bestehen. Jedes Mal ein paar Stunden vor dem Termin war es der gleiche Stress. Essen war mir zuwider, weil mein Magen sich in einem unentwirrbaren Knäuel zusammengezogen hatte. Alle zwanzig Minuten musste ich zur Toilette und vor der Tür des Prüfers hatte ich das Gefühl gleich ohnmächtig zu werden. Herzrasen, Schweiß, Schwindelgefühl und weiche Knie waren das Ergebnis meiner selbstgemachten Angst vor einer kurzen Wissensabfrage. Sicherlich kennst du solche oder ähnliche Situationen, in denen der bloße Gedanke an etwas eine ganze Kaskade von körperlichen Reaktionen nach sich zieht. Es ist uns also nichts Neues, dass unser Kopf, unsere Gedanken und Einstellungen einen - oft deutlich - spürbaren Effekt auf unsere körperliche Befindlichkeit haben können. Man denke nur an das erste Rendezvous mit dem großen Schwarm, einen Todesfall im nahen Bekannten- bzw. Familienkreis oder die Geburt eines Kindes. Nichts und niemand nimmt in solchen Momenten von außen Einfluss auf unseren Körper. Die reine Erwartung dessen, was passieren wird, reicht, um uns physisch völlig aus der Bahn zu werfen.
Die Geschichte von Mr. Wright
In der Medizin gibt es ein Phänomen, das sich mit eben dieser Einflussnahme von Geist auf Körper beschäftigt: der Placebo-Effekt. „Placebo“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „ich werde gefallen“. Dabei handelt es sich um ein Medikament oder auch eine andere Art von Behandlung, die der erwiesenermaßen wirksamen medizinischen Behandlung - dem „Verum“ – augenscheinlich gleicht, aber nicht den physiologisch wirksamen Inhalt hat. So kann zum Beispiel statt einer Aspirin-Tablette ein auf Tablettenform gepresstes Stück Traubenzucker gegeben werden. Wenn eine Person mit Schmerzen glaubt, es sei ein Schmerzmittel und sich nach der Einnahme die Schmerzen wirklich verringern, spricht man vom „Placebo-Effekt“.
Eine sehr eindrucksvolle Geschichte zu diesem Phänomen rankt sich um Mr. Wright: Dieser war in Behandlung wegen Lymphknotenkrebs. Er hatte bereits das Endstadium erreicht, in dem die Tumore die Größe von Tennisbällen hatten. Quasi auf der Schwelle zum Tod hörte er von einem neuen Wunderserum mit „Krebiozen“, das angeblich jeden Krebs sehr effektiv heilen kann. Sein Arzt ließ sich überreden, dieses Serum zu besorgen und spritzte es ihm umgehend. In den folgenden Tagen und Wochen ging es Mr. Wright zusehends besser, die Tumore wurden kleiner und in nur zehn Wochen war er fit wie schon seit Langem nicht mehr. Allerdings bekam er zunehmend Zeitungsartikel zu Gesicht, die die Wirksamkeit von Krebiozen bestritten. Nach der Lektüre einiger dieser kritischen Artikel verschlechterte sich sein Zustand rapide. Der behandelnde Arzt ergriff Gegenmaßnahmen, indem er die Diskussion in den Medien als laienhaft und schlecht informiert darstellte. Zusätzlich verabreichte er eine weitere, „superpotente“ Dosis des Krebiozen-Serums. Wieder verbesserte sich Mr. Wright’s Gesundheit schlagartig und innerhalb von zwei Monaten war er nahezu vollkommen genesen. Leider las er nun einen medizinischen Abschlussbericht, der endgültig die Wirksamkeit des Serums entkräftete. In nur zwei Tagen erlag er seinem Krebsleiden.
Was genau ist der Placebo-Effekt?
Die Geschichte von Mr. Wright ist nur eine von vielen, wie man sie zu diversen Krankheiten finden kann. Dabei handelt es sich durchaus nicht nur um Einzelfälle. Zahlreiche Studien haben in den vergangenen Jahrzehnten die Effektivität von Placebos zur Behandlung verschiedener Beschwerden untersucht. Dabei ging es häufig um die Linderung von Schmerzen durch vermeintliche Schmerzmittel. Diese wurden nicht nur in Form von Tabletten eingenommen, sondern auch intravenös gespritzt. Es wurden selbst Scheinoperationen durchgeführt.
Die Existenz des Placebo Effektes beweist, dass wir alle Selbstheilungskräfte in uns haben.
Eine Studie über Personen mit Knieschmerzen erlangte dabei eine gewisse Berühmtheit. Patienten mit arthrosebedingten Schmerzen im Knie wurden in drei Behandlungsgruppen eingeteilt. Eine Gruppe erhielt die reguläre Operation am Knie. Einer weiteren Gruppe wurde das Knie zwar geöffnet, aber lediglich eine Reinigung durchgeführt. In der dritten Gruppe wurde gar nichts am Knie gemacht. Es gab nur einen kleinen Schnitt an der üblichen Stelle, damit die Patienten nach der angeblichen Operation keinen Hinweis auf die Placebo-Bedingung hatten. Natürlich hatten vorher alle ihr Einverständnis gegeben, zufällig einer der drei Gruppen zugeordnet zu werden. Im Anschluss an die OP wurde über zwei Jahre hinweg immer wieder das Ausmaß der Schmerzen im Knie abgefragt. Interessanterweise zeigten sich keine nennenswerten Unterschiede zwischen den drei Gruppen. Das bedeutet: im Durchschnitt verringerte sich das Schmerzempfinden für tatsächlich operierte Personen im gleichen Ausmaß wie für Personen, die nur einen Schnitt in die Haut bekommen hatten. Im Gegensatz zur Geschichte von Mr. Wright blieben die Schmerzen auch nach der Aufklärung über die Zugehörigkeit zur Placebo-Gruppe weniger. Offenbar war der Glaube daran, eine helfende Behandlungen erhalten zu haben, genauso heilsam, wie die tatsächliche Operation selbst. Oder hat die OP generell keine Wirkung? Womöglich geht es auch den operierten Leuten nur deshalb besser, weil sie glauben, dass ihnen geholfen wurde. Im Endeffekt helfen sie sich aber selbst, d.h. der Gedanke in ihrem Kopf leitet den eigentlichen Heilungsprozess an.
Neben Medikamenten und Operationen wurde der Placebo-Effekt auch für Akupunktur und Biofeedbackverfahren nachgewiesen. Viele Studien zeigen, dass unser Denken einen essentiellen Einfluss auf das körperliche Befinden hat. Für manch einen mag das ganz normal erscheinen. So heißt es doch auch immer: „positiv Denken“. Nicht nur bei Schwierigkeiten im Alltag, sondern auch bei körperlichen und psychischen Problemen scheint diese Devise äußerst wertvoll zu sein. Als Schaltzentrale kann das Gehirn die Ausschüttung von Hormonen steuern, wie zum Beispiel Adrenalin bei Stress oder Endorphin bei Freude. Letzteres ist eine körpereigene Substanz, die vergleichbar effektiv Schmerzen lindern kann wie Morphium. Es ist alles in uns. Wir müssen es nur nutzen. Scheinbar geht es mit der entsprechenden Hilfestellung von außen, von Personen, in deren Kompetenz wir vertrauen, einfacher. So wird in der Fachliteratur der Placebo-Effekt gerne durch psychosoziale Faktoren erklärt, also durch das, was um die eigentliche Behandlung herum passiert. Essentiell ist hier das Vertrauen in den behandelnden Arzt. Auch die Umgebung, sprich die Praxis oder das Krankenhaus, haben einen entscheidenden Einfluss auf den Erfolg der Behandlung. Das kommt daher, dass wir von klein auf davon überzeugt werden, dass eine Person in Weiß in einem entsprechenden Raum unsere Leiden lindern kann. Deshalb gehen wir als Erwachsene im Allgemeinen mit der konkreten Erwartung zum Arzt, dass dieser uns helfen kann.
Bemerkenswerterweise stellt man bei Placebos ähnliche Eigenschaften fest, wie sie für echte Medikamenten typisch sind. So wirken sie nach einer gewissen Einnahmezeit am besten und mehr Pillen haben auch mehr Effekt. Wichtig ist auch die Symbolik im Rahmen der Therapie; das Ritual zur Behandlung einer Erkrankung unterstützt den Heilungseffekt, indem es unserem Gehirn suggeriert: „Alles wird gut“. Im Endeffekt werden „lediglich“ unsere eigenen Selbstheilungskräfte aktiviert. Gerade früher, als die Medizin noch nicht für jedes kleine oder große Wehweh ein Heilmittel kannte, war das Ritual des Medizinmannes besonders wichtig. Nicht selten verabreichte er mit wissentlich ein Mittel, das keine erwiesene Wirkung für das vorliegende Problem hatte. Er machte aber ein derartiges Tohuwabohu um die Gabe des Placebos, dass der Patient schließlich davon überzeugt sein musste, dass es wirkt. So konnten schon lange vor moderner Medizintechnik Krankheiten erfolgreich behandelt werden, für die wir selbst heute noch keine zuverlässige Therapie kennen. Rein die Hoffnung auf Heilung und der Glaube an den Erfolg der Behandlung können Berge versetzen.
„Die Lüge, die heilt“ - ethische Kritik an Placebo-Behandlungen
Heutzutage werden solche sanften Methoden schnell zugrunde gerichtet. Im Falle des Placebos geschieht dies mit einer ethischen Debatte: Es sei eine vorsätzliche Täuschung des Patienten und somit moralisch ganz und gar nicht vertretbar. Das Heilen durch die inneren, körpereigenen Kräfte des Menschen, ohne Geräte und ohne Chemie, wird als Betrug dargestellt und so aus dem regulären Behandlungsrepertoire der Schulmedizin verbannt. Dabei würden sich hier sehr wertvolle neue Möglichkeiten auftun, um zum Beispiel die Menge der benötigten Medikamente herunterzusetzen. Auch die vertrauensvolle Beziehung zwischen Behandelndem und Kranken würde mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt werden. Das würde uns allen sicherlich sehr angenehm entgegenkommen.
Im Rahmen wissenschaftlicher Studien hat man sich darauf geeinigt, die teilnehmenden Personen vorher aufzuklären, dass die Möglichkeit besteht, dass ihnen ein Placebo verabreicht werden könnte. Jeder einzelne Teilnehmer gibt also vor der Behandlung seine Einstimmung gegebenenfalls getäuscht zu werden. Eine Ethikkommission wacht über das Design und den Ablauf einer solchen Forschungsarbeit. Mittlerweile ist die placebo-kontrollierte Studie so etwas wie der Goldstandard in der Forschung von Medizin und Psychologie. So muss sich eine neue Therapie oder Behandlung oft nicht nur gegen einen erprobten Vorgänger beweisen, sondern auch gegen eine Placebo-Bedingung, in der den Probanden die möglichst gleiche Aufmerksamkeit geschenkt wird, wie in der zu prüfenden Behandlungsweise. Häufig wird in diesem Zusammenhang von „doppelblindem“ Vorgehen gesprochen. Das heißt nichts anderes, als dass weder Patient noch der ausführende Arzt wissen, bei welchem Mittel es sich um das Placebo oder um das Verum handelt. So will man vermeiden, dass der Arzt sich unterschiedlich verhält, und eventuell die Ergebnisse beeinflusst.
Traubenzucker gegen Heimweh und Depressionen
In Studien wurde herausgefunden, dass Farbe, Größe und Marke der verabreichten Placebo-Pille einen großen Einfluss auf den Heilungsprozess haben.
Unter Lehrern und Jugendgruppenleitern ist es eine gängiges Heilmittel, den Kindern etwas Traubenzucker zu geben, wenn sie das erste Mal fern von daheim plötzlich Heimweh bekommen. Erfahrungsgemäß hilft das sehr zuverlässig, wenn man den Kleinen nur eindrucksvoll erklärt, dass es eine gute Medizin sei, um Mami und Papi nicht zu vermissen. Ein ähnlicher Trick ist der mit dem bunten Pflaster gegen die Schmerzen bei einer Schürfwunde. Allein der Anblick lässt die Kleinen oft das vergessen, was darunter ist. Bei Kindern funktionieren solch simple Placebos wahrscheinlich noch besser, weil Erwachsene für sie grundsätzlich Vertrauenspersonen sind, die viel mehr wissen, als sie selbst. Außerdem sind sie noch offen für alle (Un-)Möglichkeiten dieser Welt und somit besonders suggestibel.
Auch Erwachsene zeigen erstaunliche Reaktionen auf vermeintliche Medikamente. So haben diverse Studien herausgefunden, dass die Größe der Placebo-Tablette einen Einfluss auf den Genesungsprozess hat: kleine und sehr große Pillen wirken demnach besser als mittelgroße. Ausserdem wirkt rot besser als weiß und gelb eher stimulierend, während weiß eher beruhigende Auswirkungen hat. Mit Markennamen versehene Mittelchen haben stärkere Wirkung als Generika (= billige Kopie), Spritzen wirken stärker als Tabletten und wird es vom Arzt verabreicht, ist es effektiver als vom Pfleger. Auch ein wichtig klingender Name und komplizierte Anweisungen verstärken den Effekt.
Die Bandbreite an Placebo-Wirkungen ist überaus bemerkenswert. Nicht nur, dass jahrelang andauernde Depressionen spontan geheilt wurden oder Angina Pectoris allein durch eine Narbe auf der Brust anstatt einer tatsächlichen OP an der Arterie verbessert wurde. Auch eine vorgetäuschte Akupunktur durch einen einfühlsamen Arzt zeigte vergleichbare Ergebnisse wie eine echte Behandlung durch einen unpersönlichen Arzt bei chronischen Darmbeschwerden. Dass es sich nicht um eingebildete Verbesserungen handelt, wurde auch des Öfteren überprüft: Bei der Verabreichung eines Placebo-Schmerzmittels konnten dieselben Veränderungen in der Gehirnaktivität gemessen werden, wie bei einem tatsächlichen Schmerzmittel. In einer etwas anders gearteten Untersuchung fand man, dass allein der Gedanke an Sport die Muskeln anwachsen ließ. Dabei mussten die Probanden zwei Wochen lang insgesamt zehn mentale Trainingseinheiten absolvieren, in denen sie sich Übungen für ihren Bizeps vorstellten. Es wurde sichergestellt, dass sie den Muskel währenddessen nicht wirklich anspannten. Dennoch zeigte sich nach der Trainingszeit ein Muskelwachstum von 13,5%.
Letzten Endes ließ sich nachweisen, dass eine Art Placebo-Effekt in vielen regulären Behandlungen mitspielt. Alle oben aufgeführten Punkte zu Name, Größe des Medikaments usw. treffen auch auf das Verum zu. Genauso kann ein vertrauenswürdig auftretender Arzt den Effekt einer Behandlung fördern, wie ein schroffer oder unseriös wirkender Mediziner die Wirkung vermindern kann. Überraschend ist, dass Placebos dieselben Nebenwirkungen haben können, wie ihre chemisch wirksamen Doppelgänger. Beispielsweise wurde Krebspatienten eine vermeintliche Chemotherapie verabreicht und trotz fehlender Wirkstoffe zeigten die Betroffenen oft die bekannten Nebenwirkungen wie Übelkeit und Unwohlsein. Die Gabe von Placebos muss also nicht immer nur wünschenswerte Folgen haben.
Nocebos – negative Placebo-Effekte
Der Placebo Effekt wirkt im Positiven wie im Negativen. Wenn der Mensch davon überzeugt ist, eine unheilbare Krankheit zu haben, blockiert er sein Immunsystem und seine Selbstheilungskräfte.
Für diese Form unerwünschter Placebo-Effekte wurde der Begriff „Nocebo-Effekt“ eingeführt. Nocebo bedeutet so viel wie „ich werde schaden“ und bezeichnet die Fälle, in denen Erwartungen krank machen. Ein ähnliches Beispiel zu der eben angeführten Placebo-Chemotherapie, dreht sich um einfache Supermarkt-Schokolade. Zwei Personengruppen wurde die exakt gleiche Schokolade gegeben, wobei sie für eine Gruppe in blanke Alufolie eingepackt war. Es wurde dazu gesagt, dass es herkömmliche Schokolade sei. Für die zweite Gruppe war die Alufolie zusätzlich rot angemalt. Ihnen wurde erklärt, dass es speziell hergestellte Schokolade sei, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Kopfschmerzen führen würde. Und tatsächlich entwickelten ein Drittel der Personen aus der zweiten Gruppe innerhalb eines Tages nach Essen der Schokolade Kopfschmerzen. Dies nur aufgrund der Information, die ihnen gegeben worden war. Keiner der Betroffenen litt üblicherweise an Migräne.
Die Erwartungshaltung von Patienten kann nicht nur Nebenwirkungen auslösen, sondern auch die Wirkung von eigentlich potenten Medikamenten null und nichtig machen. Man erzählte zum Beispiel Personen, denen Schmerzreize zugefügt wurden, dass das verabreichte Opium nur ein Placebo sei. Sie gingen also davon aus, dass das Mittel keine Wirkung hat. Entsprechend erschien ihnen der Schmerz stärker als den Personen, die wussten, dass sie ein wirksames Schmerzmittel bekommen hatten. In einer anderen Untersuchung wollte man feststellen, inwiefern ein Placebo auf eine Wirkrichtung festgelegt ist. Man fand bei Menschen, die unter Asthma litten, dass dasselbe Placebo-Asthmaspray entweder einen Asthmaanfall verhindern oder auslösen konnte. Es war allein von der Überzeugung abhängig, was das Spray bewirken solle.
Sehr spannend sind zu diesem Thema sogenannte „kulturspezifische“ Krankheiten. Hierbei handelt es sich um Krankheiten, die nur in bestimmten Regionen bei bestimmten Stämmen oder Völkern auftreten. Diese stehen in der Regel eng mit dem Glauben und der jeweiligen Kultur in Verbindung. Zum Beispiel ist das Volk der Quechua in Südamerika sehr eng mit der Erde verbunden, verehrt sie und reicht ihr Opfer dar aus Dank für alles, was sie den Menschen gibt. Nun ist es dort ein allgemein bekanntes Phänomen, dass jemand, der einen großen Schock erleidet, krank wird. Er bekommt nach dem Vorfall Symptome wie Fieber und Schmerzen. Die Erklärung dafür ist, dass beim Schock die Seele in die Erde fährt und dort gefangen ist. Der seelenlos zurückgebliebene Körper beginnt unter dem Entzug zu leiden. Erst ein Ritual von anderen Stammesangehörigen durchgeführt kann der Seele zurück in den Körper verhelfen und so die Symptome verschwinden lassen. Solche spezifischen Krankheiten können über den gesamten Erdkreis gefunden werden, treten aber stets nur innerhalb eines bestimmten Glaubenskreises auf.
Warum wirkt das Placebo?
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass ein Placebo bei jedem Menschen wirken kann. Es gibt zwar Untersuchungen dazu, ob bestimmte Personen empfänglicher sein könnten als andere. Allerdings erbrachten sie keine nennenswerte Ergebnisse. Nur ängstliche Naturen scheinen minimal stärker auf Placebos zu reagieren. Auf die Frage, wie es ohne Wirkstoff zu physiologischen Reaktionen kommen kann, hat man mehrere Antworten gefunden. Eine Zeit lang gab es in Fachkreisen die Diskussion, ob es sich eher um einen Lerneffekt, die sogenannte „Konditionierung“ handelt, oder ob es auf die Erwartungshaltung ankommt. Kurz gesagt ist der Unterschied zwischen diesen beiden Erklärungsansätzen, dass sich das Lernen im Sinne von Konditionieren eher unbewusst abspielt, während die Erwartungshaltung sehr wohl bewusst zugänglich ist. Das bedeutet man kann jemanden fragen, was er sich von einer bestimmten Behandlung erhofft und bekommt eine klare Antwort bezüglich Erwartungen und Zweifeln. Das Schöne daran ist, dass man so auch darüber diskutieren kann. Ein Arzt kann zum Beispiel seinem Patienten erklären, welche Ängste unberechtigt, welche Erwartungen realistisch sind und kann so im Idealfall die Hoffnung auf Erfolg noch vergrößern. Das wiederum sollte sich dann positiv auf den tatsächlichen Ausgang der Behandlung auswirken, unabhängig davon, ob es sich um ein Placebo oder ein Verum handelt.
Zur Konditionierung wird gerne das klassische Experiment von Pawlow angeführt. Hier wurde Hunden beim Füttern stets ein Glockenton vorgespielt. Wer das noch nicht beobachtet hat: Hunde sabbern oft in der Erwartung auf ihr Fressen. Pawlows Hunde lernten bald, nur beim Erklingen der Glocke das Wasser aus dem Maul laufen zu lassen. Bei Menschen funktioniert das ganz ähnlich. In einer Studie mit Allergikern wurde über einen längeren Zeitraum ein Antihistaminikum zusammen mit grüner Milch gegeben. Entsprechend des Medikaments reagierte der Körper weniger auf die allergieauslösenden Stoffe. Nun wurde weiterhin einem Teil der Probanden die Milch mit Antihistaminikum gegeben und dem anderen Teil nur die Milch. Die ersten Male konnte kein Unterschied zwischen den Gruppen hinsichtlich allergischer Reaktionen festgestellt werden. Erst nach einer Weile wurde die Wirkung der Milch schwächer und es musste wieder parallel die Medizin eingenommen werden, um die Reaktion aufzufrischen. Die Farbe der Milch war besonders wichtig, weil es nichts war, was die Personen von früher schon kannten und vielleicht mit etwas anderem assoziierten. Es scheint also so, als wäre die Konditionierung in der Tat ein essentieller Bestandteil von Placebo-Effekten. Das Wunderbare daran ist, dass so die Möglichkeit besteht, die Menge der notwendigen Medikamente für manche Leiden herabzusetzen, indem man unter die wirksamen Pillen ein paar Placebos mischt, die genauso aussehen. So könnten möglicherweise auch die Nebenwirkungen, besonders über längere Einnahmezeiten verringert werden.
In der Debatte um Konditionierung versus Erwartungshaltung hat man sich mittlerweile auf die goldene Mitte geeinigt. Beides scheint eine Rolle zu spielen und oft Hand in Hand zu gehen. So können Lerneffekte durch die Erwartung einer Person beeinflusst werden. Andererseits lernt der Mensch auch durch Beobachten oder mündlich gegebene Informationen. Man muss nicht unbedingt selbst die gelbe Pille gegen Kopfschmerzen schlucken, um zu wissen, dass sie wirkt. Wenn wir mit jemandem darüber reden und er uns bestätigt, dass es ihm schnell und effektiv geholfen hat, reicht das gegebenenfalls aus, um unseren Glauben an die gelbe Pille zu bekräftigen und so die Wirkung hervorzurufen oder zu verstärken, wenn wir sie selbst einnehmen.
Beim Placebo Effekt spielt auch die Beziehung zwischen Arzt/Therapeut und dem Klienten eine große Rolle.
Ein Fazit, das immer wieder in den verschiedenen Studien zum Placebo auftaucht, ist, dass die Beziehung zwischen dem, der das Placebo verabreicht (klassisch der Arzt) und dem, der es einnimmt (klassisch der Patient) zentral ist. Einerseits ist die gemeinsame Geschichte sehr bedeutend. Das heißt, dass zukünftige Behandlungen effektiver sein werden, wenn die in der Vergangenheit verschriebenen Mittel gut geholfen haben. Das ist der Lerneffekt. Aus Erfahrung weiß ich, dass mein Arzt mir immer das Richtige verschreibt bzw. er immer etwas tut, das mir hilft. Die Erwartungen können andererseits auch direkt in der Behandlungssituation aufgebaut werden. Indem der Arzt Hoffnungen weckt, sich mitfühlend zeigt und gut zuredet, kann er den Gesundungsprozess positiv beeinflussen. Oder überhaupt erst möglich machen! Wenn man von schweren Krankheiten wie Krebs ausgeht, kann es ein gravierender Unterschied sein, ob der Arzt jemandem erklärt, dass 95% der Personen mit dieser Art von Tumor innerhalb eines Jahres sterben, oder, ob er sagt, dass es durchaus ein paar Leute gibt, die noch mehrere Jahre trotz des Krebs weiterleben, ihn teilweise sogar besiegen.
Sind Wunderheilungen auch „nur“ Placebos?
Manche Forscher sind der Ansicht mit dem Placebo-Effekt die Erklärung für viele wundersame oder spontane Heilungen gefunden zu haben, die man sich bislang medizinisch nicht erklären konnte. In allen möglichen Religionen dieser Welt gibt es wiederkehrend Berichte von „Wunderheilungen“. Das fängt nicht erst in der Bibel mit Jesus an, sondern kommt auch im Hinduismus, Islam, Judentum oder kleineren Religionen von Naturvölkern vor. Meist sind es Fälle, in denen die Betroffenen ein schweres Leiden haben und von Ärzten oder Medizinmännern schon aufgegeben wurden. Was genau dann die spontane Heilung auslöst, ist unterschiedlich. Jesus soll einen Blinden allein durch Handauflegen wieder sehend gemacht haben. In anderen Fällen pilgern Menschen hunderte von Kilometern zu einer heiligen Stätte, um dort geheilt zu werden. Lourdes in Frankreich ist für die Christen ein solcher Wallfahrtsort. Insgesamt spricht man hier von ca. 7000 Heilungen, von denen 69 von der Kirche als „Wunder“ anerkannt wurden. Darunter sind Fälle von Blindheit, lang andauernder Lähmung, Tuberkulose, Multipler Sklerose, diversen Entzündungen, Abszessen und sogar Darmkrebs.
Bei den Hindus ist es ihr heiliger Fluss, der Ganges. Die Moslems reisen nach Mekka und die Buddhisten haben ihren heiligen Berg, den Kailash. Es sind besondere Orte innerhalb des Glaubens, denen eine starke Kraft zugesprochen wird. Manchmal stehen sie mit herausragenden Personen in Verbindung, z.B. einem Heiligen. Ein anderes Mal ist es etwas an dem Ort selbst, das große Macht haben soll. Beispielsweise muss man einen Stein berühren oder Wasser aus einer bestimmten Quelle trinken. Allen gemeinsam ist, dass die Leute ganz fest an ihre Heilkraft daran glauben. Zusammen mit Berichten von anderen kranken Personen, die dort ebenfalls geheilt wurden, entsteht eine sehr starke Erwartungshaltung, die einen mächtigen Placebo-Effekt nach sich ziehen kann. Doch wer wagt es zu beurteilen, dass es „nur“ ein Placebo ist? Vielleicht steckt ja doch etwas mehr hinter dem Glauben an die Macht eines Ortes oder einer herausragenden Person, als wir uns vorstellen können...
Während meiner Recherchen kam in mir immer mehr die Frage auf, ob ein Placebo-Effekt nur von außerhalb der erkrankten Person herbeigeführt werden kann. Diese Vermutung drängt sich einem bei Sichtung der einschlägigen Forschungsliteratur auf. Stets gibt es einen Arzt, eine andere Vertrauensperson oder wenigstens Erklärungen, die dem Kranken gegeben werden. Im Endeffekt ist es aber immer der eigene Verstand, das eigene Gehirn, das den Heilungsprozess im Körper in Gang setzt.
Kann man sich nicht selbst überzeugen, jetzt wieder gesund zu werden, ohne ein Placebo anwenden zu müssen? Dazu fällt mir eine Geschichte aus meiner Kindheit ein. Bis ich etwa zehn Jahre alt war, hatte ich mit schrecklicher Regelmäßigkeit Mandelentzündungen. Jedes Mal gab es Fieber, ich musste zum Arzt, Medikamente schlucken und im Bett bleiben. Schließlich ging es meinen Eltern zu sehr auf die Nerven und auch der Arzt war nicht sehr glücklich über die wiederkehrenden Infektionen. Also wurde mir eines Tages erklärt, dass bei der nächsten Infektion die Mandeln schlichtweg entfernt würden. Seit jenem Tag hatte ich nicht einmal mehr Halsschmerzen – bis heute!
Die Kraft des Placebos im Alltag
Es gibt also ein unglaubliches Potenzial zur Selbstheilung in uns. Es ist eine Frage der Einstellung, wie gut wir auf unseren Körper hören und wie wir ihn auch zu steuern lernen. Man denke nur an „große Meister“, die angeblich allein durch Meditation ihren Kreislauf beliebig regulieren können. Es wird gesagt, dass sie durch starke Versenkung und Konzentration den Puls und die Atmung bis auf ein Minimum verlangsamen können. Sicherlich ist dies ein extremer Weg, der sehr viel Stärke und Übung erfordert. Doch jeder Einzelne von uns hat heute schon genug Kraft in sich, um sich wenigstens für einen rücksichtsvollen Umgang mit seiner Gesundheit zu entscheiden. Letztendlich kann man alleine über den Lebensstil, die Ernährung und Bewegung vieles zum eigenen Vorteil verändern. Einen gesunden Lebensstil zu verfolgen ist auch schon eine mächtige Leistung des Geistes!
Zuletzt würde ich gerne den Fokus von uns selbst loslösen und eine eher altruistische Perspektive einnehmen. Es muss ja nicht immer der Arzt sein, der einer kranken Person Zuversicht und Vertrauen in die Gesundung vermittelt. Gerade Eltern sollten wissen, wie wichtig es ist, den Kleinen gut zuzureden, wenn sie mal krank sind. Besonders in akuten Fällen, wie einer Verletzung, einem Bruch, einem Unfall, bei dem auch ein Schock des Betroffenen mit hinein spielt, ist es so wichtig Zuversicht zu vermitteln. Das alte „alles wird gut“ bekommt vor dem Hintergrund des Placebo-Effekts einen ganz neuen Stellenwert. Man muss allerdings nicht erst krank werden, um auf Gesundheit zu hoffen. Generell ist positives Denken etwas, das man stets üben und in den Alltag einbauen sollte. Beobachte dich doch mal selbst, wie du im Zweifelsfall mit dir oder anderen redest. Betonst du eher die Probleme, die negativen Konsequenzen oder versuchst du das Positive zu sehen, das, was trotz allem noch gut ist? Fokussierst du eher auf Lösungen statt auf schlimme Dinge, die passieren könnten? Letztendlich lehrt uns der Placebo-Effekt eines mit Sicherheit: wenn wir glauben, alles wird gut, dann wird es auch mit hoher Wahrscheinlichkeit gut.
Text: Vanessa Röhricht
Quellen:
- “Placebo –Cracking the Code” (https://youtu.be/QvbQnMvhQFw) (Quelle mittlerweile offline)
- http://www.duden.de/suchen/dudenonline/Placebo
- Wikipedia.de (https://de.wikipedia.org/wiki/Placebo)
- “Heilen ohne Medikamente: Wie chronische Krankheiten ganz einfach wieder verschwinden“, Andreas Winter, Makau Verlag GmbH, 2007
- „Quarks und Co.: Der Nocebo-Effekt“ (http://www.ardmediathek.de/tv/Quarks-Co/Quarks-und-Co-Der-Nocebo-Effekt/WDR-Fernsehen/Video?bcastId=7450356&documentId=35011156), Sendung vom 3.7.2012 (Quelle mittlerweile offline)
- Turner, J. et al. „The importance of placebo effects in pain treatment and research” JAMA. 1994;271:1609-1614
- Brody, H. “The lie that heals: the ethics of giving placebos” Annals of Internal Medicine. 1982;97:112-118.
- Moseley, J.B. et al. “A controlled trial of arthroscopic surgery for osteoarthritis of the knee” N Engl J Med, Vol. 347, No. 2, July 11, 2002
- Zieselman, A. “The placebo effect – the medicinal power of placebo use” The Dartmouth undergraduate press, 2012, Vol. Fall, pp. 22-24
- Stewart-Williams, S. and Podd, J. “The Placebo Effect: Dissolving the Expectancy Versus Conditioning Debate” Psychological Bulletin, Inc. 2004, Vol. 130, No. 2, 324–340
- https://de.lourdes-france.org/vertiefen/heilungen-und-wunder/die-geheilten-von-lourdes