So fühle ich mich viel freier!
Für viele Eltern sind Windeln ein zweischneidiges Schwert. Zum einen sind sie schön sauber, einfach und bequem. Zum anderen gibt es aber noch das leidige Wechseln. Und wer sich einmal um eine triefend schwere Windel und ihren Inhalt gekümmert hat, der weiß, dass das alles andere als blumig und angenehm ist.
Daher ist es nur verständlich, dass die meisten Eltern froh sind, wenn ihre Kleinen endlich "trocken" sind.
Was wäre aber, wenn man von Anfang an keine Windeln benötigte? Wenn unser Nachwuchs ganz ohne Hilfsmittel trotzdem sauber sein könnte? Geht so etwas?
Ja, das geht, es nennt sich "windelfrei". Das bedeutet - wie es der Name schon sagt -, dass man die Kinder von Anfang an frei von Windeln aufzieht und komplett darauf verzichtet. Es basiert auf der Annahme, dass Kinder schon von Geburt an mit der Fähigkeit ausgestattet sind, ihren Stuhlgang zu bemerken und auch zu kontrollieren.
Wie funktioniert „windelfrei“?
Man hört überall, dass Kinder das Aufs-Klo-Gehen genauso lernen müssen wie Laufen oder Sprechen. Wie soll sich das Kind mitteilen, wenn es einmal muss? Es kann es einem ja noch nicht sagen, oder?
Die Kunst ist, sich auf die Natur zu verlassen. Man sollte in Gedanken immer ein bisschen beim Kind sein und auf es achten. Sobald man das Gefühl bekommt, es müsse doch einmal langsam wieder so weit sein mit dem Stuhlgang, dann sollte man es abhalten. Abhalten bedeutet, das Kleine sanft über einer Schüssel, einem Töpfchen, dem Klo oder einer Wiese zu halten, so dass es in Ruhe das kleine oder große Geschäft erledigen kann. Dazu passend kann man jeweils ein bestimmtes Geräusch machen, damit sich das Kind daran gewöhnt und man später durch dieses Geräusch die Ausscheidung anregen oder unterstützen kann.
Falls es einmal daneben geht oder weder Eltern noch Kind gemerkt haben, dass etwas kommt, sollte man auf keinen Fall schimpfen. Stattdessen stellt man die Situation einfach nur fest und macht das Malheur sauber. Also kein "Was hast du denn da schon wieder gemacht?", lieber ein "Oh, guck mal, da ist ja was."
Im Gegenzug sollte man aber auch nicht übermäßig loben, wenn es einmal gut mit dem Abhalten geklappt hat, denn der Stuhlgang soll ja etwas ganz Normales und nicht sonderlich Erwähnenswertes sein.
Generell darf man keinen Zwang anwenden, denn alles, was mit Zwang verknüpft ist, wird weder von Groß noch Klein gerne und gut akzeptiert.
Mit diesen Methoden soll das Kind von Geburt an das kontrollierte Loslassen in den Topf, auf der Wiese und anderen passenden Orten gewöhnt werden. Das alles finde ich durchaus logisch, denn wir werden von der Natur nicht mit Windeln geboren. Wie bei so vielem anderen auch frage ich mich manchmal, wie wir denn in der Urzeit nur überleben konnten, ohne die ganzen unglaublich wichtigen Segnungen der Zivilisation.
In vielen Gesellschaften, vor allem den so genannten Naturvölkern, ist es übrigens üblich, die Kinder nackt am Körper zu tragen. Ausscheidungen gehören dort zum Leben dazu und werden nicht in Plastikbeutel weggesperrt.
Die Vorteile von „windelfrei“
Was bringt das Windelfrei aber uns Zivilisationsmenschen? Wo liegen die Vor- und Nachteile?
Nun, es entwickelt sich ein Kind, das von Anfang an ein bisschen selbstständig ist und vor allem ein gutes Körpergefühl hat. Die Bindung zwischen Eltern und Kindern wird gestärkt, da man im Team zusammenarbeitet, anstatt das Kleine einfach in die Windel machen zu lassen - und es kann sogar Spaß machen, wenn man das Ganze mit Freude und ein bisschen spielerisch ausführt.
Noch dazu schont es den Geldbeutel, denn Windeln sind nicht billig und man braucht buchstäblich hunderte davon im Laufe eines Baby-Lebens.
Dass man damit riesige Mengen an Ressourcen einspart und den einen oder anderen Baum und Lebensraum dadurch stehen lässt, ist einleuchtend.
Aber am wichtigsten ist tatsächlich der Verzicht auf die Windel. Und zwar aus Gesundheits- und Komfort-Gründen für das Baby. Wenn so ein Kleines von Anfang an daran gewöhnt wird, nicht auf seine Ausscheidungen zu achten und es einfach laufen zu lassen, dann kommt irgendwann die Situation, die jeder herkömmliche Elternteil kennt und fürchtet. Dann wird die Windel über Nacht so richtig vollgemacht, dass sie bisweilen sogar überquillt. Morgens muss man dann die stinkenden, verschmierten und eingetrockneten Reste irgendwie abkriegen und die darunter liegende völlig überforderte und gerötete Haut reinigen. Und anstatt sie dann an der Luft heilen zu lassen, kommen irgendwelche Cremes drauf und das Ganze wird wieder luftdicht verpackt.
Das kommt uns allen zwar ziemlich normal vor, muss und sollte es aber nicht sein.
Es klingt wie eine Binsenweisheit, aber: Windelfrei-Kinder erledigen ihr großes Geschäft tagsüber und kommen gar nicht in die Verlegenheit, in der Nacht in ihrem eigenen Stuhl zu liegen.
Nachteile hat Windelfrei nur, wenn es nicht klappt. Dann kann es dreckig für die Umwelt werden - aber das ist auch schon alles.
Einfach wunderschön...
Eigene Erfahrungen
Da ich aus Erfahrung spreche, möchte ich kurz von unserem Windelfrei-Abenteuer mit unserer kleinen Maus erzählen.
Wir haben uns diverse Ratgeber zugelegt, weil wir das Konzept überzeugend fanden, uns eingelesen und dann nach der Geburt gleich losgelegt.
Natürlich gab es - wie bei allem, was nicht Mainstream ist - erst einmal verwirrte Blicke und Zweifel. "Das klappt doch nie", "Kinder können so etwas noch nicht", "Das gibt nur eine Sauerei" waren die Kommentare, hin und wieder gewürzt mit betretenem Schweigen. Allerdings haben wir in unserem Freundes- und Verwandtenkreis auch eine Menge weltoffene Exemplare, die unseren Versuch interessiert-optimistisch verfolgt haben.
Und was soll ich sagen: Das Einspüren in das kleine Wesen klappt tatsächlich. Man merkt einfach, ob es muss und man sollte absolut auf seine Intuition hören. Denn oft wischt man den Gedanken weg, weil man gerade mit etwas scheinbar viel Wichtigerem beschäftigt ist und dann hat man die Überraschung auf der Hose. Das macht aber nichts, denn man lernt, mit etwas Baby-Pipi zu leben. Die stinkt nicht und lässt sich gut auswaschen und wirklich viel ist es am Anfang auch nicht.
Übrigens sind wir bei allen Pipi-Unfällen niemals angekackt worden! Das beweist doch, dass bei kleinen Menschen von Anfang an ein Gefühl dafür vorhanden sein muss.
Alles in allem lief es zunächst erst einmal gut. Beim Spazieren im Wald haben wir sie an den Rand oder über der Wiese abgehalten, zu Hause über den Mini-Topf oder das Waschbecken.
Wenn wir einmal wohin mussten, wo man lieber keine Pipi-Spuren hinterlässt - etwa im Supermarkt - haben wir ein Tuch als Pseudo-Windel verwendet, genauso wie des Nachts.
Allerdings kam dann die erste große Herausforderung. Denn je größer unsere Tochter wurde, desto weniger hatte sie Lust, abgehalten zu werden. Sie weigerte sich, bog sich durch, streckte sich und wollte einfach nicht über das Waschbecken oder woanders hingehalten werden.
Weil wir keinen Zwang ausüben wollten, haben wir es dann gelassen. Da die Kleine eisern blieb und weiter wuchs, mussten wir irgendwann ständig riesige Pfützen wegmachen, wenn sie mal wieder keine Lust hatte, ins Töpfchen zu machen. Da es uns leider irgendwann zu stressig wurde, haben wir dann doch mit Ökowindeln angefangen.
Fast ein Jahr ging es ohne, jetzt im Sommer fangen wir wieder damit an (bei passendem Wetter). Sie ist mittlerweile zwei und kann sich schon bestens mitteilen; sie sagt auch, wenn sie eine Windel haben oder lieber "nackig" bleiben möchte.
Wenn sie muss, lässt sie oft einfach laufen, aber häufig sagt sie auch Bescheid oder geht von selbst auf die Wiese oder über einen Eimer, um ihr Geschäft dort zu erledigen. Aufs offizielle Töpfchen oder Klo hat sie aber meist noch keine Lust, obwohl sie sonst immer alles so machen will wie wir Großen.
Fazit
Als kleines Fazit kann ich sagen, dass Windelfrei durchaus sehr gut funktioniert. Die Stimmen, die uns im Inneren und von außen das Konzept ausreden wollten, sind stumm geworden. Was für den einen oder anderen vielleicht wie eine krude Theorie klingt, ist in der Praxis durchaus umzusetzen.
Aber damit es perfekt läuft, muss das Kind auch mitmachen wollen. Wir hätten es prima gefunden, wenn wir ein komplettes Windelfrei geschafft hätten, aber auch so hat unser Kind Kontrolle gelernt und wir haben als kleinen Bonus hunderte Windeln und Euros gespart.
Beim Nächsten wollen wir es nicht über das Waschbecken halten, sondern von Anfang an auf ein Minitöpfchen setzen (soweit es geht). Je nach Charakter klappt es dann vielleicht mit dem Windelfrei, und wenn nicht, werden wir es auch überstehen.
Ich kann nur jedem raten, es zu versuchen, es ist eine sinnvolle und wertvolle Erfahrung. Kinder können so viel mehr als wir - und vor allem die Massenmeinung - ihnen zugestehen!
Wenn du übrigens generell mehr über den natürlichen Umgang mit der Geburt und Säuglingen erfahren willst, dann empfehle ich Dir "Unter meinem Herzen", das sich auf anregende Weise mit intuitiver Schwangerschaft und der Stillzeit beschäftigt.
Empfehlung: Auch in diesem Beitrag wird ein Dogma über den Umgang mit unseren Kleinsten hinterfragt: Baby Led Weaning - Beikost ohne Brei
Quellen:
(1) "Es geht auch ohne Windeln", Ingrid Bauer
(2) "TopfFit!", Laurie Boucke
(3) Windelfrei - Einfach und mit Spaß", Jessica von Haeselen
Ein kleines Leben beginnt windelfrei
Ganz toll, dass endlich über windelfrei berichtet wird! Ich hatte erst bei der 4. Schwangerschaft etwas davon erfahren und zuvor noch nie etwas davon gehört. Leider musste mein Kleiner seine erste Zeit auf der Intensivstation verbringen und ich machte daher erst später windelfreie Zeiten-aber selbst bei seinen unregelmäßigen windelfreien Zeiten hat er ein Gespür für Urin und Stuhlgang bekommen und wenn er Stoffwindeln trägt, meldet er sich meist selbständig, wann er eine neue Windel mag:-)